Auf der Suche nach dem verlorenen Joaquin …

Nun ist es sozusagen offiziell: Der geheime Rote Faden des diesjährigen Festivals hier in Venedig ist die unerträgliche Leichtigkeit des Schauspielerdaseins … Nach Vittorio Gassmann und Sophia Coppolas Held „Johnny Marco“ war nun die Reihe an Joaquin Phoenix, es auf den Punkt zu bringen: „Die einzigen guten Momente sind die zwischen „Action!“ und „Cut!“. Der Rest ist Shit. Du bist doch nur eine Marionette, man sagt dir, was du anziehen, wo du zu stehen und was du zu sagen hast. Ich geb‘s auf!“  So hört man ihn in Casey Afflecks Dokumentation „I‘m Still Here“ vor sich hinschimpfen. Afflecks Doku gehörte zu den meist erwarteten Filmen hier, weniger weil man auf Casey Afflecks Regiedebüt gespannt war, sondern weil alle wissen wollen, was es mit Joaquin Phoenix‘ bizarrer Karrierewende auf sich hat.
Phoenix hat 2008, nach Abschluss der Dreharbeiten zu „Two Lovers“ verkündet, aus der Schauspielerei auszusteigen. Im Film sieht man diese Szene, aufgenommen von einem News-team, und Casey Affleck (der mit seiner Schwester Summer verheiratet ist) steht neben ihm und scheint selbst völlig überrascht. Kurz darauf ist offenbar die Idee zu dieser Dokumentation entstanden. Phoenix auf jeden Fall verwandelte sich binnen weniger Monate in unerwartet radikaler Weise: Er ließ sich einen struppigen Vollbart wachsen, trägt seine Haare seither als Langhaargestrüpp, das er manchmal mit einem alten T-Shirt bedeckt und versteckt seinen dicker gewordenen Leib in speckigen Pullovern und sackigen Hosen, die tief in den Schritt rutschen. Er fing an, davon zu sprechen, eine Laufbahn als Rapper einschlagen zu wollen. Bei David Letterman hatte er im Februar 2009 einen Kopfschütteln hervorrufenden, sehr schweigsamen Auftritt, während dem er nach Aufforderung Lettermans den Kaugummi rausnahm und für alle sichtbar unter dessen berühmten Moderatorentisch klebte.
Seither also fragen sich alle nur noch eines: Ist das echt oder ist es ein Trick? Und dieses Interesse beeinflusst selbstverständlich die Art und Weise, wie man diesen Film guckt. Doch Affleck scheint bestens darauf vorbereitet. Er lässt seinen Filmen mit einer alten Familienaufnahme beginnen, in der ein kleiner Junge mit seinem Vater zusammen einen Wasserfall besucht und den ganzen Mut zusammennimmt, um schließlich von einer kleinen Klippe ins Wasser zu springen. Soll das Joaquin sein? Sagen wir so: Es wird suggeriert. Und so ist es eben den ganzen Film über: Man fragt sich, ob das Gezeigte authentisch ist oder nicht. Das aber macht den Film auf doppelte Weise interessant. Einerseits versucht man den Film nach Anzeichen der Inszenierung abzusuchen, andererseits zeigt der Film, wie Phoenix und seine Entourage auf die immer wieder laut werdenden Gerüchte, das alles sei ein Hoax, reagieren. So sieht man zum Beispiel, wie Phoenix im Fernsehen mit ansieht, wie Ben Stiller während der Oscar-Verleihung 2009 seinen Letterman-Auftritt parodiert, einschließlich der Sache mit dem Kaugummi. Und für einen Moment muss man sich als Zuschauer fragen: Und was, wenn es kein Trick ist, sondern Phoenix sich tatsächlich in einer tiefen Selbstfindungskrise befindet? Und bei allen Versuchen, sich aus der Schauspielerei zu verabschieden, ihm vom Publikum immer nur weiter unterstellt wird, er schauspielere weiter, nun eben in der Rolle als – erfolgloser – Rapper? Wäre es nicht verrückt, wenn das alles echt wäre? Und würde das nicht den Wahnsinn des Berufs tatsächlich auf den Punkt bringen?
Dabei merkt man, wie sehr man als Zuschauer hier Teil des Spiels ist. Und dass diese Fixierung auf die Frage, ob es sich um einen raffiniert angelegten und mit schonungsloser Uneitelkeit betriebenen Trick handelt oder nicht, letztlich eine Ausflucht für uns Zuschauer darstellt – um sich mit diesem traurigen, in seinen Manien auch unsympathischem Haufen Elend, als der Phoenix hier größtenteils erscheint, nicht befassen zu müssen.
Bei der Pressekonferenz, zu der Casey Affleck alleine erschienen ist, machte der Regisseur auf jeden Fall keine Anstalten, das Rätsel zu lösen. Besser gesagt: Er bestritt, dass es sich um einen „Hoax“ handele. Aber … auch Affleck ist schließlich Schauspieler, deshalb muss man sich doch die Frage stellen: War er dabei wirklich authentisch?

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