Von Heathcliff und anderen Ungeliebten

Das Wetter als Protagonist: Andrea Arnolds "Wuthering Heights"

Zum Aus-Venedig-Berichten gehören gewisse Standards: Der erste zum Beispiel ist, statt „Festival“ mindestens ein Mal „Mostra“ zu schreiben, was eine gewisse Italien-Kenntnis suggeriert, oder etwa vom „Lido“ zu sprechen, um Ortskenntnis zu zeigen. Ein drittes Element der sicher verlängerbaren Liste ist der „Wettereinstieg“: einen Text mit einer meteorologischen Beschreibung zu beginnen. Es gibt dafür keine bessere Gelegenheit, als der Tag, an dem Andrea Arnolds „Wuthering Heights“ Premiere feiert. Neben den Darstellern aus Fleisch und Blut ist der Hauptprotagonist des Films nämlich tatsächlich das Wetter – in vielerlei Schattierungen, von sommerlich-sonnig bis zu leichtem Schneefall, aber fast immer mit viel, viel Wind.

Arnolds Version des Bronte-Romans unterscheidet sich überhaupt von anderen Varianten dadurch, dass sie eine starke Entscheidung getroffen hat, was die Erzählperspektive angeht. Geschildert, besser gesagt nachempfunden wird die stürmische Geschichte aus dem Blickwinkel von Heathcliff, der hier in den verschiedenen Lebensaltern von zwei schwarzen Darstellern verkörpert wird. Ob das zulössig und mit der Vorlage vereinbar sei, bestimmte vor und nach dem Film als Streitfrage die Gespräche, es getraute sich aber auf der Pressekonferenz offenbar niemand danach zu fragen. In der Logik des Films macht es Sinn, Heathcliff ist der junge Wilde, den zuerst der Adoptivvater, dann der Bruder drangsaliert, der nur im Raufen mit Adoptivschwester Cathy ein bisschen Nähe und Zuwendung erfährt, und für diese Liebe und Zuneigung nie den richtigen Ausdruck finden wird. Bei Schnitt und Kamera verfährt Andrea Arnold ganz wie in ihren Vorläuferfilmen „Red Road“ und „Fish Tank“ – die Kamera ist immer nah an den Figuren, folgt ihnen, drängt sich geradezu dazwischen, die Montage ist abrupt und sprunghaft, scheint Szenen manchmal willkürlich abzubrechen, steigt bei der nächsten genauso willkürlich ein. Zusammen mit dem bereits erwähnten Wetter samt all seiner sorgfältig aufgenommenen Geräusche und wenigen ruhigen Schwenks über das raue Gelände erzeugt das ein Gefühl von Unmittelbarkeit, von etwas Drängendem, Ungeschliffenen, das sehr gut zum Roman passt. Leider aber kann sie die Intensität nicht über die ganze Filmdauer halten. Und so sehr es den Romankenner braucht, um die Geschichte, die hier fast ohne Dialoge auskommen muss, überhaupt nachvollziehen zu können, so sehr ist eben der auch frustriert, wenn er am Ende merken muss, dass der Film mit Cathys Tod endet, mithin die zweite Hälfte ganz weggelassen ist.

Apropos zweite Hälfte: die ist im Festivalbetrieb nun definitiv angebrochen. Nachdem es gestern den ganzen Tag mal stärker mal schwächer regnete, scheint nun wieder die Sonne. Obwohl es wieder fast so schwül ist wie in den Tagen zuvor, hat sich die Betriebstemperatur des Festivals merklich abgekühlt. Die Parade der großen Stars ist vorbei, der Run auf die Pressekonferenzen nicht mehr so eilig, die spitzen Schreie („George!“, „Keira!“, „Kate“, „Michael!“), die halbstündig von jenem Balkon, wo die Photo-Calls stattfinden, übers Gelände tönen, sind kaum mehr vernehmbar. Die Zeit der frühen Bilanzen ist da.

Die einzige Tendenz, die sich eindeutig ablesen lässt, ist die, dass Michael Fassbender den Darstellerpreis gewinnen wird. Und zwar entweder für „A Dangerous Method“ oder „Shame“ oder auch gleich beides. Der Rest des Feldes ist unübersichtlich. Für fast alle Filme lassen sich manchmal mehr, manchmal weniger starke Befürworter finden. Es sei mal mit einer Aufzählung der eher ungeliebten Filme begonnen.

Die Wenigsten mochten den chinesisch-taiwanesischen „Warriors of the Rainbow“, der in asiatischer Kampfkunstfilmmanier vom selbstmörderischen Aufstand der taiwanesischen Urbevölkerung gegen die japanische Besatzung erzählte. Aber da das Ganze auf wahrer Geschichte beruhte, hat man eine Menge erfahren, was man vorher nicht wusste. Der einzige Film, während dem bislang höhnisch gelacht wurde – etwas, was in anderen Jahren zum Festivalalltag gehörte – war Philipp Garrels „Un été brulant“. Aber auch für diese sehr stylishe – manche sagen: sehr französische, was nicht als Kompliment gemeint ist – Tragödie über den Beginn des einen und das Ende eines anderen Künstlerpaares, finden sich regelrechte Fans. Monica Belluci, über deren Nacktszene im Vorfeld so spekuliert wurde, die sich dann aber als überaus züchtig erwies, könnte natürlich nach der Regel, dass einer der Darstellerpreise an Italien gehen muss, über all ihre Verächter triumphieren.

Dass bei Emmanuele Crialeses „Terraferma“ nicht gelacht wurde, lag wohl daran, dass die meisten schnell den Saal verließen, oder gar nicht erst gekommen waren. Man traut den italienischen Filmen hier eben einfach nicht über den Weg. Die Italiener selbst haben den Film stürmisch gefeiert. Und damit vor allem den Goodwill, der darin ausgedrückt wird. Crialese widmet sich dem durchaus brennenden Problem der afrikanischen Flüchtlinge, die am Strand und dem Meer vor Lampedusa landen oder man muss besser sagen: angeschwemmt werden. Die Fischer der Gegend sind angewiesen, niemanden ins Boot zu nehmen, geschweige denn bei sich zu verstecken. Die rechtschaffene Familie, die in „Terraferma“ im Zentrum steht, hat damit natürlich so ihre Schwierigkeiten. Der Film hat seine Schwierigkeiten damit, die Rechtschaffenheit als der lokalen Bevölkerung quasi „angeborenen“ Eigenschaft zu behaupten, die er der Konsumorientiertheit anreisender norditalienischer Touristen und der Gewinnsucht einiger weniger korrumpierter Einheimischer gegenüberstellt. Solche Plumpheit tut vor allem dann weh, wenn man bedenkt, welche wunderbar subtilen, schillernden und ungewöhnlichen Filme Crialese mit „Respiro“ und „Nuovomondo“ gemacht hat.

In die Liste der Enttäuschungen muss wahrscheinlich auch Todd Solondz mit seinem „Dark Horse“ aufgenommen werden, der einmal mehr unsympathische Charaktere auf unschöne Weise an sich scheitern lässt. Um zu Provozieren war die dickleibige Hauptfigur, die mit Mitte 30 das Elternhaus noch nicht verlassen hatte und in seiner Freizeit am liebsten das „Toys are us“-Kaufhaus besuchte, zu harmlos. Was man dem Film gar nicht vorwerfen möchte, schließlich hat Tolondz seine Zuschauer auch schon regelrecht gequält. Sehenswert war auf jeden Fall der Auftritt von Mia Farrow und Christopher Walken als altem Ehepaar. Nicht nur dass sie so überzeugend alt waren, sie passten auch ganz hervorragend zueinander.

Zur Liste der „polarisierenden Filme“ und denen, die alle mochten, dann an späterer Stelle.

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