Die Preise sind da

So, es ist vollbracht. Um es gleich zu sagen: Es hat alles andere als mein Lieblingsfilm gewonnen. Aleksandr Sokurovs „Faust“, soeben mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, war mir zu manieriert, gewissermaßen auch zu „Sokurovesk“. Die Farben, das Stimmengeraune, die verzerrten und verspiegelten Objektivaufnahmen, das Somnambule, das war alles wie gehabt. Es ist, als ob Sokurov mit „Moloch“ seine Methode gefunden hat, die er nun immer wieder anwendet, sei es auf Hitler oder Hirohito, auf Tschetschenien oder das mittelalterliche Deutschland von Faust. Unter seiner Bearbeitung wird das alles zum selben bedeutungschwangeren Mysterium – das aber diesmal hier tatsächlich sehr gut ankam. Als Gerüchte durchdrangen, die Jury unter Darren Aronofsky hätte sich den Film zwei Mal angeguckt, schwante mir schon Böses. Aber als Sokurov dann so strahlend-beglückt auf die Bühne trat, sich ans Herz griff und man merkte, dass diesem ewig mit sich und der Welt Unzufriedenen in diesem Moment endlich, endlich ein Augenblick der Zufriedenheit zuteil wurde, in dem gewissermaßen alles Erlittene für den Wimperschlag der Preisverleihung wieder gut gemacht war – da freute ich mich doch für ihn. Allerdings nur bis er dann auf der Pressekonferenz das Predigen begann, für die staatliche Kulturförderung und dass es ohne sie „in der alten Welt“ bald schlimm bestellt sei und dass die deutschen Schauspieler mindestens so gut seien wie die amerikanischen, und dass es schlimm sei, dass sie in der Welt keiner kennt, undsoweiterundsofort. Sogar Darren Aronofsky war, glaube ich, ein bisschen genervt. Oder auch in Ehrfurcht erstarrt, wer weiß das schon.

Der Regiepreis für Cai Shangjun, dessen Film ja wie beschrieben so viel Pech bei den Projektionen hatte, gehört zu jener Sorte Entscheidung, gegen die man nichts sagen kann. „People Mountain, People Sea“ ist ein Film, der durch die Härte des Gezeigten beeindruckt, und durch den Mut, es zu zeigen. Eine Gesellschaftskritik, die einfach nicht zurückzuweisen ist, obwohl über die Details des Films auch große Verwirrung herrschte: Suchte der Mann nun den Mörder seines Bruders oder seines Sohnes? Und weil am Ende in den Bergwerksszenen alle schwarze Gesichter hatten, konnte man auch nicht erkennen, ob er den nun gefunden hatte…

Beim Spezialpreis an Emanuele Crialeses „Terraferma“ gab es Buhrufe. Den Film haben viele als Goodwill-Kitsch empfunden. Aber der Regisseur selbst wiederum ist so sympathisch, dass man ihm den Preis auch nicht missgönnen mag. Ganz anders dagegen die Reaktionen auf Michael Fassbenders Auszeichnung mit der „Coppa Volpi“ – es gab tobenden Applaus im sonst so coolen Presseraum. Weniger enthusiastisch, aber immer noch sehr warm wurde auch die Entscheidung für Deanie Yip aus „A Simple Life“ aufgenommen. Beide waren übrigens die haushohen Favoriten gewesen, wobei Fassbinder tatsächlich dieses Festival „mesmerisiert“ hat, während Yip einfach die einzige Frauenfigur mit einer echten Hauptrolle im diesjährigen Wettbewerb war. Was nicht heißen soll, dass sie nicht auch ganz, ganz toll gespielt hat.

Mit gewisser Genugtuung habe ich den Kamerapreis an Robbie Ryan für „Wuthering Heights“ aufgenommen – die Jury erwähnte in der Begründung tatsächlich das Wetter als Teil der Natur, die als weitere Figur im Film eine große Rolle spiele. An den auch von mir als Löwenfavoriten gehandelten „Himizu“ von Sion Sono ging der Nachwuchsdarstellerpreis, der dafür geteilt wurde auf den Jungen und das Mädchen, die sich dort fast immer in den Haaren liegen. Eine Entscheidung, die auf sehr schöne Weise diesem japanischen Film gerecht wird, der doch so sehr ringt um die Zukunft seiner beiden Protagonisten, um die es in einer zerfallenden Gesellschaft nicht gut bestellt ist.

Der griechische „Alpis“, der für sein Drehbuch ausgezeichnet wurde, hat seine kleine, aber sehr entschiedene Fangemeinde. Wie das oft der Fall ist bei strengen, sperrigen Filmen, die das Publikum zunächst quälen, dafür aber um so nachhaltiger Eindruck hinterlassen.

Egal wie einverstanden ich nun im Detail damit bin, alles in allem spiegeln die Preisentscheidungen doch genau das wieder, was auch das Festival als Ganzes gezeigt hat, und was Darren Aronofsky simpel auf den Punkt brachte: „The international cinema is alive and well.“

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