Im Irgendwo

Wie beschrieben war die Szene, in der ein verlebter Vittorio Gassmann die Vorteile seines Schauspielerberufs anpreist – morgens nicht aufstehen zu müssen! – diejenige, die mich hier in Venedig hat „ankommen“ lassen. Sophia Coppolas „Somewhere“ hätte dazu kaum besser passen können: Ein Film über das Luxusproblem, Schauspieler zu sein. Ein Film über die Leere, über die gemütliche Unwirtlichkeit von Hotels, über die Asozialität der Bequemlichkeit, wenn man kaum etwas selbst erledigen muss, sondern der Großteil des eigenen Lebens in den kompetenten Händen von professionellen Mitarbeitern liegt. Schon im Titel schließt der Film unmittelbar an „Lost in Translation“ an. „Somewhere“, das ist das Dasein im „Irgendwo“. In schlaglichtartigen Szenen zeigt Coppola den Alltag eines erfolgreichen Schauspielers in Los Angeles. Stephen Dorff spielt Johnny Marco, der eine Suite in einem Promihotel bewohnt und mit professionell distanzierter Höflichkeit von Hotelangestellten und Presseagenten umsorgt wird. Er hat nicht viele Verpflichtungen, hier einen Fototermin, dort eine Pressereise nach Mailand. Gleichzeitig, das stellt Coppola fast schmerzlich prägnant heraus, ist dieses Leben gar nicht so leicht zu bewältigen in seiner bindungslosen Leere. Denn auch um Freunde und Sex muss sich dieser Johnny nicht richtig kümmern: Sie bieten sich ihm einfach an. Unverhohlen, manchmal allzu direkt, aber immer wieder zu offensiv, als dass er widerstehen könnte. Trotzdem: an die Stelle sozialer Eingebundenheit tritt eine endlose Reihe bedeutungsloser Begegnungen. Die einzige Unterbrechung aus diesem „Irgendwo“-Zustand erlebt er, wenn seine 11-jährige Tochter zu Besuch kommt. Obwohl sie nichts besonderes zusammen machen, erhält sein Leben dann auf einmal Struktur. Nicht zuletzt durch das wunderbare Spiel von Elle Fanning in der Rolle der Tochter Cleo zeigt „Somewhere“ auf zauberhaft zurückhaltende Weise, wie eine menschliche Beziehung – Vater-Tochter steht hier nur für eine Variante – dem Alltag Geschmack verleiht, ihn aufhellt, intensiviert und relevant macht. Solche Beziehungen müssen gepflegt werden, sie keine Selbstverständlichkeit. Als die Tochter zum Sommerlager aufbricht, steht Johnny wieder im Nirgendwo.

Zum Teil kopiert Coppola in „Somewhere“ fast in ganzen Szenen den leisen Witz und die Melancholie aus „Lost in Translation“, doch verlässt sie sich diesmal weniger auf die visuellen Gags und stellt mehr die innere Bewegung ihrer Figuren in den Vordergrund. Es gibt wunderbar parodistische Details, etwa wenn Johnny beim Fototermin mit einem weiblichen Ko-Star während des Shootings von ihr in wenigen hinter aufgesetztem Lächeln hervorgestoßenen Sätzen abgekanzelt wird. Die ganze Zeit über sieht man nur ihre dem Fotografen zugewandte Gesichter, erst als das weibliche Pendant abgedampft ist und die fleißigen Helfer ihr zwangsoptimistisches „That was awesome!“ angebracht haben, sieht man Johnny in der Totalen von einem kleinen Podest heruntertreten, das den Größenunterschied ausglich.

Diese und viele andere Szenen zeigen für mich zurückhaltend, aber überzeugend: Was zunächst eben nach den Luxusproblemen eines Hollywoodstars aussieht, für Außenstehende in ihrer Exklusivität fast von bizarrer Komik, weitet sich zur Geschichte über das existentielle und damit ganz universelle Problem menschlicher Entfremdung.

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