Die ersten Filme …

Eigentlich beginnt so ein Festival ja so richtig mit dem ersten Film, der einem gefällt. Manchmal reicht auch eine Szene und man fühlt sich angekommen. Für mich war es der Anfang einer Dokumentation über den großen italienischen Schauspieler Vittorio Gassman: Da saß ein schon grauer, vollkommen verlebt aussehender Gassman vor einem Garderobenspiegel etwas verwahrlost im Bademantel herum und pries mit rauer Raucherstimme seinen Beruf an. Am schwersten sei es doch für alle, am Morgen aufzustehen, aber als Schauspieler habe man es da gut: Man stehe abends ein paar Stunden auf der Bühne herum, gehe im Anschluss noch trinken und feiern, und könne den folgenden Tag ganz nach Gusto bis in die Puppen im Bett verbringen. Danach ein kleines oder großes Frühstück, oder auch schon ein echtes Mittagessen – und weiter habe man nichts zu tun, außer am Nachmittag auf den Wagen zu warten, der einen wieder ins Theater bringt. Es klang in der Tat nach einem wunderbaren Leben! Selbst, so stellte sich spät in der ansonsten sehr konventionellen Dokumentation heraus, hat er das gar nicht so sehr genießen können, weil er mit dem Alter immer mehr an Depressionen litt. Was umso betroffener macht, weil das Leben, das hier in Archivaufnahmen und alten Fotografien vorgestellt wurde, so wirklich im besten Sinne gelungen aussah: da saßen sie alle gemeinsam im Garten herum, alles was Rang und Namen hatte im italienischen Film, von Sergio Leone über Ettore Scola bis Mario Monicelli, Dino Risi und Federico Fellini. Einer, ich glaube es war Scola, stellt denn von heute aus auch die These auf, dass darin vielleicht ein Geheimnis für den Welterfolg des italienischen Films der 50er, der 60er und noch der 70er Jahre lag: Dass sie ein Kollektiv waren, das sich gegenseitig austauschte und mit ständiger Neugier begegnete. Das gäbe es heute nicht mehr.

Nun vielleicht ist es heute zwischen Quentin Tarantino und Robert Rodriguez so. Ersterer wurde hier als Jurypräsident groß gefeiert, auch weil er als Fan des italienischen Films gilt, was man ihm hier endlos zugute hält. Letzterer stellte seinen Film „Machete“ vor, ein wüstes Spektakel mit dem narbengesichtigen Danny Trejo in der Hauptrolle als mexikanischer Ex-Bulle, der als illegaler Arbeiter in den USA die Gelegenheit erhält, sich für erlittene Demütigungen und andere Ungerechtigkeiten des mexikanisch-amerikanischen Verhältnis zu rächen. Die Filmidee hat Rodriguez schon für einen seiner „Fake-Trailer“ im Grindhouse-Projekt umgesetzt. Der fertige Film hält nun alles, was der Trailer einst schon versprach: Unter dem Motto „They f*ed with the wrong Mexican!“ wird hier gemeuchelt und gemetzelt, was das Zeug hält; und jeder Schuss hinterlässt eine breite Blutspur an der Wand, jeder Messerstoß eine Blutlache auf dem Boden, und als Handlungsfaden dienen alle Klischees und Vorurteile, die man so über amerikanische Unternehmer und Senatoren, über illegale Einwanderer und korrupte Polizisten diesseits und jenseits der Grenze so an einem Abend zusammentragen kann.

Die bekannten Klischees über obsessive Ballettänzerinnen liegen auf den ersten Blick auch Darren Aronofskys „The Black Swan“, dem Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals, zu Grunde. Doch Aronofsky erzählt die alte Geschichte von der unerbittlichen Konkurrenz um die Hauptrolle als Geschichte einer Sucht. Und von Suchtdarstellung versteht Aronofsky etwas, wie man spätestens seit seinem „Requiem For A Dream“ weiß. Natalie Portman spielt die brave Balletttänzerin, die noch zusammen mit ihrer Mutter Barbara Hershey wohnt, eine Beziehung, die im Lauf des Films mehr und mehr an Hanekes „Klavierspielerin“ erinnert. Zum Frühstück gibt es ein pochiertes Ei und eine Grapefruit. Danach sieht man sie nie mehr etwas essen. Der Film zeigt mit beklemmender Konsequenz den Tunnelblick, aus dem heraus die stets nach Perfektion strebende Tänzerin agiert. Nun aber fordert man von ihr nicht nur den endlosen Fleiß und Selbstbeherrschung, sondern gleichzeitig das Gegenteil: das Loslassen können, das Spontansein, die Verführung statt nur die Ausführung. Zunehmende Paranoia ist das Resultat. Mit unerwünschter Deutlichkeit setzt Aronofsky die unappetitlichen Folgen für den Körper in Szene: blutig genagte Nagelränder, missgebildete Zehennägel, Hautausschläge. Das Drama wird immer mehr zum Horrortrip. Er habe sich „The Wrestler“, mit dem er vor zwei Jahren hier den Goldenen Löwen gewann, und „The Black Swan“ im Grunde als einen Film vorgestellt, erzählte Aronofsky auf der Pressekonferenz, so sehr habe ihn der Umgang der Tänzer mit ihrem Körper an den der Wrestler erinnert. Dem fertigen Film merkt man tatsächlich das als einzige Ähnlichkeit noch an. Wo „The Wrestler“ fast dokumentarisch und mit viel Gespür für das soziale Setting inszeniert war, spielt „The Black Swan“ fast ganz im unwirklichen Reich einer beschädigten Psyche.

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