Angekommen: Das Alte geht nicht mehr und das Neue auch nicht

Wer einen Tag vor der offiziellen Eröffnung des Festivals am Lido ankommt, hat das etwas zweifelhafte Vergnügen, zu beobachten, wie die „Mostra“ aufgebaut wird. Rundum die altehrwürdigen Gebäude der „Sala Grande“, wo abends die Galavorführungen stattfinden und die Stars auf dem Roten Teppich begrüßt werden, und des „Casino“, in dem die Pressekonferenzen abgehalten werden und die Einrichtungen für Journalisten untergebracht sind, herrscht heftiges Nageln und Brettern, rotes Tuch wird ausgelegt, Plattformen werden gezimmert und endlose Meter von mit roten Planen behangene Absperrungen errichtet. Es herrscht eine Atmosphäre wie beim Jahrmarktsaufbau, und der Vergleich hat einiges für sich: Hier wird eine Fassade errichtet, die den eigentlichen Zustand des Festivals, vielleicht sogar den des Weltkinos, nur notdürftig verkleidet – eine Art Potemkinsches Dorf.

In der Tat hat das Filmfestival von Venedig viele Probleme, darunter auch solche baulicher Art: Seit langem wird der Mangel an Kinos beklagt (für Berlinalebesucher mag das unglaublich klingen: das ganze Programm wird in vier großen und zwei winzigen Sälen gezeigt). Vor zwei Jahren erfolgte die feierliche Grundsteinlegung für den neuen Festivalpalast, der unmittelbar vor dem Casino errichtet wird, als zum großen Teil unterirdisch angelegter Prachtbau, der so die alten Bauten nicht unnötig in den Schatten stellen soll. Denen, die wie ich rechtzeitig gekommen sind, um noch einen Blick auf die Baugrube zu erhaschen, bevor die Absperrungen mit ihren roten Planen das nicht mehr zulassen, bot sich ein erschreckender Anblick: Es wird hier gar nicht gebaut! Weit und breit keine Arbeiter, keine Geräte, nichts! Stattdessen aufgebrochener Asphalt und ein bisschen ausgehobener Kies. Dabei war die Fertigstellung ursprünglich für 2011, zum 150. Jubiläum der Einigung Italiens geplant!  Paola, seit vielen Jahren meine Wirtin auf dem Lido, erzählt mir heute Morgen beim Frühstück, dass die Bauarbeiten bereits im Winter eingestellt wurden, weil man im Grund Asbest gefunden hat. Nun braucht es zusätzliche Mittel zur Sanierung des Baugrunds. Auf der Pressekonferenz sprach Präsident Barretta von einer „Verzögerung“, statt 2011 werde es nun eben 2012. Aber ehrlich gesagt, klang das so, als glaube er selbst nicht mehr daran.

Dass das Alte nicht mehr geht und das Neue auch nicht, oder sich, wenn überhaupt, nur in schrecklicher Gestalt realisiert, zeigt sich auch am legendärsten Hotel des Lido, dem Hotel Des Bains, Filmfans aus „Tod in Venedig“ ein Begriff. Diese 67. Filmfestspiele sind nun tatsächlich die ersten, in denen das Des Bains geschlossen ist! Wie es heißt, zur Restaurierung, aber das weist in die falsche Richtung, denn es wird kein Hotel Des Bains mehr geben; man baut das Gebäude in Luxusappartements um, und in einem Teil des prächtigen Gartens werden neue Häuser errichtet, trotz Denkmalschutz. Nächstes Jahr, so eine weitere wenig Zuversicht einflößende Nachricht, soll das andere Luxushotel, das mit der Festivalgeschichte aufs engste verbundene (es wurde hier gegründet) „Excelsior“ restauriert werden. In mancher italienischen Zeitung ist zwangsoptimistisch von der dringend nötigen „Rundumerneuerung“ des Lido die Rede. Es gibt jedoch wenige Orte auf der Welt, die über so viel historische Aura und Charme verfügen wie der Lido und dieses Festival, wenn man das Alte nun wegrestauriert, was bleibt dann noch von dieser Aura und dem Zauber?

Für eines ist dieser Lido mit seinen vorgehängten Fassaden, den ungelösten Problemen und der sich überall manifestierenden Angst vor der Zukunft der genau richtige Ort: Für uns Journalisten, alle mehr oder weniger betroffen von der Krise unserer Branche. Ganz anders als noch in den Vorjahren beginnen die Gespräche untereinander nicht mit der Diskussion der kommenden Filme, sondern mit dem Austausch von Schreckensgeschichten über Redaktionszusammenlegungen, Einsparungen, und Streichungen der Reise-Etats. Anschließend ermahnt man sich gegenseitig, das diesjährige Festival zu genießen, es könnte für einen schließlich das Letzte sein!

Das Wetter tut sein Übriges dazu. Bis Sonntag sei es noch drückend heiß gewesen, so meine Wirtin Paola, Montag aber kam das große Gewitter, und nun scheint zwar die Sonne wieder, aber die Luft ist herbstlich klar, es weht ein kühler Wind. Abends sitzen nur die hartnäckigen Raucher draußen. Von den ersten Filmen dann morgen.

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