Die Cronenbergisierung von Freud findet nicht statt

Cronenberg verweigert die "Cronenbergisierung"

„Dann wirst du auch den neuen Cronenberg sehen!“ hieß es in den letzten Wochen immer, wenn ich davon erzählt habe, dass ich nach Venedig fahren werde. Auf der Wettquotenliste, die der Guardian online zitierte, stand sein Freud-Jung-Drama „A Dangerous Method“, als „erotic thriller“ etikettiert, ganz oben als d e r  Favorit auf den Goldenen Löwen. Es hatte also durchaus seine Berechtigung, dass Cronenberg selbst seine Bemerkungen auf der Pressekonferenz folgendermaßen eröffnete: „Ich muss sagen, es ist das 68. venezianische Festival – und ich bin 68! Zudem hieß der Eröffnungsfilm „Die Iden des März“ – was mein Geburtstag ist!“ Was als amüsanter Kommentar gemeint war zur allgemein menschlichen Empfindung, dass sich die ganze Welt um den eigenen Bauchnabel dreht, kam bei der versammelten Kritik jedoch nicht richtig an. Die war nämlich noch ganz damit beschäftigt zu verdauen, dass „A Dangerous Method“ irgendwie nicht wie ein echter Cronenberg-Film daherkommt. Auf eine Frage in diese Richtung äußerte sich der kanadische Meister mit blankem Unverständnis. So oft er diese Frage zu hören bekäme: „Wie werden Sie das Cronenbergisieren?“, so wenig wisse er, was damit gemeint sei. Er versuche nicht, seinen Filmen eine Handschrift aufzudrücken, vielmehr bringe jeder Filmstoff seine eigenen Erfordernisse mit sich.

Und die bestanden bei „A Dangerous Method“ einmal mehr darin, eine Theatervorlage für die Leinwand zu übersetzen. Nach Clooneys „The Ides Of March“ und Polanskis „Carnage“ war das übrigens schon das dritte verfilmte Theaterstück im diesjährigen Wettbewerb. Und das bedeutete: ebenso „dialoggetrieben“, räumlich beengt und figurenkonzentriert. Der Film ist ganz auf seine drei Hauptpersonen fokussiert: den ehrgeizigen Jung (Michael Fassbender), reich verheiratet und ein bequemes Leben führend in der Schweiz, Sabina Spielrein (Keira Knightley), die zu Beginn zuckend und schreiend zu ihm gebracht wird, und eben Freud (Viggo Martensen), den schon älteren Herrn und ungekrönten König in einem neuen sich formierenden Reich namens Psychoanalyse.

Viele werden die Grundkomponenten der historischen Dreiecksgeschichte kennen: Jung heilt Spielrein mit dem neuerfundenen „talking cure“, der Briefwechsel über den interessanten Fall ermöglicht ihm die Annäherung an Freud, der wiederum in ihm freudig den Kronprinz erblickt, unter anderem auch deshalb, weil mit Jung endlich ein „Siegfried“ in die bis dahin jüdisch dominierte Bewegung käme. Zuerst sind gewissermaßen alle in alle verliebt: Freud in Jung, Jung in Freud und Frau Spielrein, Frau Spielrein in Jung und dann auch in Freuds Lehren. Das geht nicht lange gut. Im wahren Leben wie im Film steht am Ende gleich eine ganze Reihe von Zerwürfnissen.

Cronenbergs Film zieht diese Prozesse nun eben vor allem in Dialogsequenzen nach, was dem Ganzen etwas Blutleeres verleiht. Allerdings sind die beiden männlichen Hauptdarsteller hervorragend: Fassbender als der Ehrgeizige, aber auch Verunsicherbare, Zerrissene, der sich auf unbekanntes Terrain wagt und mit seinem Ego und seiner eigenen Sinnlichkeit kämpft. Mortenson als der Überlegene, zweifellos Klügere, der seine Grenzen kennt, aber auch seine Anziehungskraft auf andere. Zwischen diesen interessanten Männern kommt Knightley kaum zur Geltung, obwohl ihr Weg von der krampfenden Patientin zur kopfstarken, selbstständigen Frau und Therapeutin doch der interessanteste wäre.

Der Film erscheint als Ganzes eher scholastisch als „abgedreht“, mehr um die normale „menschliche Dimension“ bemüht als um das, was jenseits dessen sein Unwesen treibt. Tatsächlich ganz anders, als man es von Cronenberg erwartet hätte. Aber wie sagte jemand neulich in einem anderen Film (ich glaube es war Evan Rachel Wood in den „Ides Of March“): Erwartungen führen zu Enttäuschungen. In diesem Sinne ist mal wieder jeder selber schuld, wenn ihm „A Dangerous Method“ nicht gefällt.

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